Axel Kufus im Interview - Zeitloser Klassiker für die Wand

Kaum ein Produkt aus dem Alltag begleitet uns schon so lange wie die Rauhfaser – seit mehr als 150 Jahren bekleidet sie die Wände in vielen Räumlichkeiten. Axel Kufus, Professor für „Entwerfen und Entwickeln im Design“ an der Universität der Künste in Berlin, hat der Rauhfaser sogar einen eigenen Workshop gewidmet.

Die Rauhfaser ist schlicht und unauffällig, selten spielt sie sich in den Vordergrund, sondern überzeugt gerade durch ihre Einfachheit, ihre universelle Einsetzbarkeit. In dem Workshop unter der Leitung von Professor Axel Kufus stand sowohl die experimentelle Erforschung der sinnlichen Qualitäten von Rauhfaser als auch die Vielfalt neuer Kontexte im Fokus. Im Interview mit der „MADEby“ aus Dezember 2016 (Seite 52/53) verrät Axel Kufus, wie er selbst zum Klassiker Rauhfaser steht.

Herr Kufus, was verbinden Sie assoziativ mit Erfurt Rauhfaser?

Die Rauhfasertapete hat etwas Allgegenwärtiges. Sie gehört zu den Standards, die unsere gebaute Umwelt seit einer gefühlten Ewigkeit – konkret sind es wohl über 150 Jahre – begleitet. Es gibt nicht viele solcher Produkte, die ihrem Wesen treu geblieben sind und mit augenscheinlich wenigen Veränderungen über einen solch langen Zeitraum Bestand haben. Muss sie wirklich hergestellt werden? Gab es sie nicht schon immer? Als Designer kann ich nur den Hut vor einem solchen Produkt ziehen, das wie selbstverständlich in unsere Welt gehört, kaum mehr aus ihr wegzudenken ist und diese Tatsache nicht laut herausschreien muss. Dabei war die Rauhfasertapete gar nicht als solche erfunden worden. Der Apotheker Hugo Erfurt brauchte im Jahr 1864 lediglich eine Schaufensterdekoration. Von dort aus all unsere vier Wände erobert zu haben, lässt eine geniale DNA in ihrem Kern vermuten.

Ist Rauhfaser also so etwas wie Coca-Cola, die ursprünglich auch als Hustensaft erfunden wurde und dann zum Erfrischungsgetränk wurde?

Nein, mit Coca-Cola würde ich sie nicht vergleichen. Eher mit Mineralwasser. Das ist viel neutraler, bescheidener, auch gesünder. Die Rauhfasertapete ist ein so einfaches, universelles Produkt, dass sie mehr oder weniger mühelos sämtlichen Trends der letzten 150 Jahre trotzen konnte – auch wenn es sicherlich das ein oder andere Tal gab, auf das von den Spitzen der Tapetenmoden heruntergeschaut wurde.

Kann man solch einen Erfolg planen?

In dieser Weise sicher nicht. Rauhfaser kann man getrost als Standard bezeichnen. Aber Standards entwickeln sich. Sie bilden sich aus einem Konsens von vielen Entwicklungen, Erfahrungen und auch Gewohnheiten. Dafür braucht es seine Zeit. Wir Designer setzen uns ja nicht hin und sagen: „Jetzt entwerfe ich ein Standardprodukt“ – das ist zum Scheitern verurteilt. Standards setzen sich irgendwann durch – werden als solche erkannt und dann auch verteidigt. Das liegt in unserer Kultur. Besonders in der deutschen Kultur. Wir streben danach, sie zu schaffen, weil wir durch sie eine Sicherheit gewinnen. Vielleicht ist es sogar Geborgenheit und Orientierung, zu der sie uns verhelfen. Es gibt eine Vielzahl von Menschen, die nicht aus der Norm fallen wollen, die sich lieber anpassen an gestalterische, aber auch soziale Vorgaben, die Dinge nicht hinterfragen. Ihre Persönlichkeit tritt dann anderweitig zutage.

Die Werbeagentur Jung von Matt hat ein Wohnzimmer entwickelt, das dem durchschnittlichen Geschmack der Deutschen entspricht. Meinen Sie diese Art von Standard?

Standard schafft Normalität. Die allein muss aber nicht spießig sein. Hier werden Klischees eines Durchschnitts vorgeführt, und da ist leicht lachen – von jedem, der sich vom Durchschnitt abheben will. Die „Avantgarde“ greift dann wieder gern zur Normalität, weil alle Trends sie und sich überbieten wollen. So drehen wir uns im Kreis – die Rauhfaser schaut gelassen zu.

Die ebenfalls in Jung von Matts Wohnzimmer vertreten ist.

Richtig, aber sie fällt anders als die Möbel nicht auf. Sie performt nicht, tritt nicht groß auf und dann wieder ab. Sie ist einfach nur da.

Was ist das Phänomen, das dahintersteckt?

Es ist das Chaos der Körnung, es gibt kein Ornament, keinen Rapport, keine Bedeutung. Die überlässt sie anderen. Es ist ein Spiel mit Unschärfe. Die Rauhfasertapete ist perfekte Camouflage für die Wand. Sie überspielt deren Eigenarten, die Materialität, die Unebenheiten, bildet die Grundlage für Farbe, Bilder, Möbel. Sie ist eine belastbare Basis, auf der ich aufbauen kann.

Das Erfurt-Laboratory

Vom 13. bis 19. Februar 2013 veranstaltete ERFURT & SOHN KG zusammen mit dem InterInstitut unter der Leitung von Axel Kufus und Marc Piesberger das Erfurt-Laboratory. Zehn Jungdesigner machten sich Gedanken, wie man die Rauhfasertapete dekontextuell nutzen kann. Heraus kamen 30 Arbeiten. Darunter waren praktische Dinge wie die „Tapeziermaschine“ und das „Rauhfaser-Tape“, innenarchitektonische Transformationen wie die „Rauhfaser-Garderobe“, der „Rauhfaser-Vorhang“ und die „Rauhfaser-Leuchtkugel“. Die Tapetenbahnen wurden um einen Reißverschluss erweitert („Zipper“), zusammengenäht („Fugennaht“) oder als „Rauhfaser-Fliesen“ an die Wand gebracht. Doch selbst vor den tapezierten Wänden machten die Designer nicht halt: Der Entwurf „Riss“ spielt mit Sollbruchstellen, in die „Pyrowand“ brennen sich über eine eingebaute Zündschnur geometrische Muster. Sogar ein „T-Shirt“ wurde entworfen. Dafür wurde die Rauhfaserstruktur als Schaumdruck auf die textile Oberfläche gedruckt. Ähnlich geht „Siebdruck“ an die Thematik heran: Hier wird die Holzfaserstruktur direkt auf die Wand aufgetragen, der Untergrund bleibt also sichtbar. Der Workshop wurde von den Designern dokumentiert.

Das Ergebnis ist unter www.erfurt.com/de/services/videos/ zu sehen.

Axel Kufus und die Rauhfasertapete © Jan Kulke